Kleine Missgeschicke in grossen Landschaften

Eigentlich hätte der Aufenthalt in Bayankhongor ja recht kurz ausfallen sollen. Doch nachdem alle Einkäufe gemacht sind, wollen wir in einem Fotostudio noch ein paar Bilder ausdrucken und an die Nomaden senden, die wir abgelichtet haben. Danach ist ein Grossteil der Fotos weg, die wir in den letzten vier Wochen gemacht haben. Zwar haben wir Backups nach Hause geschickt, aber die letzte Woche ist noch nicht gesichert… Dies beschert uns einen unverhofften Tag im Internetcafe und diverse hochspannende Experimente mit Recovery Tools, ultra langsamen Computern und Stromausfällen. Das einzig Gute daran ist, dass wir hier Ichke kennen lernen. Reto ist im Internetcafe schon lange aufgefallen dass sie auf deutschen Seiten surft. Als sie mich anspricht erfahre ich dann dass sie in ein paar Wochen als Aupair nach Deutschland fliegen wird und ihr Deutsch ist schon jetzt beeindruckend gut. Wir verabreden uns schliesslich für den Abend und während Reto die letzten Fotos auf die Karte kopiert, zeigt Sie mir wie man Chuschus macht. Die fritierten Teigtaschen mit Hammelfüllung sind nämlich unser Lieblingsgericht, aber auch Tsuiwan (hausgemachte Nudeln mit Kartoffel und Hammelstücken) und Buuz (gedämpfte Teigtaschen ebenfalls mit Hammel) sind meist sehr lecker. Und was anderes kriegt man sowieso nur höchst selten.

Ein Stück weit rollen wir auf der südlichden Hauptroute. Sogar ein paar Asphalt-Abschnitte sind mit dabei.

Trotzdem freuen wir uns wie kleine Kinder, als wir wieder abzweigen um auf einem kleinen Feldweg, den Reto auf Google Earth gefunden hat, in die Hügel hinauf zu holpern. Der Verkehr hält sich zwar auch auf den Hauptachsen recht in Grenzen, doch da wo die Murmeltiere ihre Löcher noch mitten auf der Fahrspur buddeln ist es eben doch am schönsten. Hier ist übrigens auch wieder viel mehr los, denn auch die Einheimischen ziehen in dieser Jahreszeit hinauf in die Hügel um ihr Vieh auf den üppigen Blumenwiesen weiden zu lassen. So pedalen wir mitten durch den mongolischen Sommer-Alltag und schauen zu wie die Nomaden ihre Jurten aufbauen, Pferde fangen, Murmeltiere jagen, Stuten melken und Powerbars trocknen.

Oben auf dem kleinen Pass ist die Route stellenweise kaum mehr sichtbar aber man weist uns immer gerne den Weg über die dicht mit Edelweiss bewachsenen Hügel und weiter bis nach Uyanga. Ich staune immer wieder von neuem, was Retos Velotaschen so alles ausspucken. Diesmal kramt er ein Bier in einer Glas(!)flasche und ein 200g Pack Gummibärchen hervor.

Mit einem sturmartigen Rückenwind segeln wir einen Tag später ins nächste Kaff hinein. Als wir auf der Suche nach etwas Essbarem durch den Ort pedalieren wird der Wind sogar so stark, dass ich vor lauter aufgewirbeltem Sand Reto aus den Augen verliere, der 20m vor mir fährt. Als ich ihn wiederfinde steht er vor einem kleinen Restaurant. Juhuii! Während dem wir Chuschus mampfen werden draussen David und Gunnar angeweht. Die beiden Deutschen radeln eigentlich in die entgegengesetzte Richtung. Heute wollen wir aber alle zum Wasserfall und pedalen deshalb gemeinsam hin.

Wasserfälle sind in der sanften Hügellandschaft der Mongolei eine Seltenheit . Hier fällt das Wasser auch nicht wie bei uns von einem Felsen hinunter, sondern von der flachen Ebene in ein gigantisches Loch hinein.

Zusammen mit den beiden Jungs quartieren wir uns in das nächst beste Ger Camp ein und verbringen hier ein paar feuchtfröhliche Tage. Dank strömendem Regen sogar einen mehr als geplant.

Unterdessen ist der Wasserfall zueinem tosenden Ungetüm angeschwollen und die Hoffnung, dass der Regen jemals wieder aufhört haben wir schon fast aufgegeben.

Wenigstens werden wir von der Familie, die das Ger Camp führt bestens versorgt. In regelmässigen Abständen wird sichergestellt, dass bei uns ein anständiges Herdfeuer brennt und die Thermoskanne voll ist. Einmal bringt uns die nette Mamma gar ein völlig unverhofftes Mittagessen vorbei.

Vor allem David wurde von der leicht rundlichen Mongolin so richtig ins Herz geschlossen. “Eat” ist ihr Lieblingswort –  oder vielleicht auch einfach das einzig englische, das sie kennt – und seine schmale Statur hat wohl ihren Ehrgeiz geweckt. Was sie uns am letzten Abend serviert ist aber selbst für immer-hungrige Velofahrermägen etwas zuviel des Guten. Reto und ich sehen recht schnell ein, dass wir mit Berg Fleisch, Fett und Knochen auf unseren Tellern nicht fertig werden und teilen uns eine Portion. Die Jungs dagegen versuchen unter dem wachsamen Blick der Köchin ihr bestes. Wo nötig assistiert sie mit einem besseren Messer und gibt Tips, welcher Knochen vielleicht abgetrennt werden könnte um noch einen Happen Fleisch hervor zu kratzen. Scheinbar macht sie sich ernsthaft Sorgen um unsere Ernährung, da wir ja nicht mal wissen, wie man einen Hammel isst. Selbst als wir längst beim Dessert sind kämpft David immernoch brav mit einem dieser Mordsbrocken aber die Madame ist noch nicht zufrieden. “Eat!” zischt sie ihn an und umarmt ihn daraufhin lachend.

Am nächsten Tag rollen wir dann das erste Stück zu viert weiter. Nur fünf Minuten nachdem wir uns von den beiden verabschiedet haben, stehen wir an einem der Flüsse die wir auf dem Hinweg so locker durchwatet haben. So einfach wird es diesmal nicht gehen. Mehrmals halte ich den Atem an, während Reto über grosse Steine und durch sprudelndes Wasser turnt. Diesmal bleibt die Kameratasche zwar trocken. Dafür nimmt sie im nächsten Fluss ein Bad, zusammen mit Reto, meinem Velo und einigen Taschen. Wir haben Glück und sie überlebt genauso unversehrt wie die drei Objektive. Vor unserer Abreise hatten meine Eltern meine alten löchrigen Velotaschen durch Neue ersetzt. Und den super-grosszügigen Veloplusgutschein meiner Arbeitskollegen habe ich zu einem grossen Teil in wasserdichte Säcke und Beutel investiert. Hier im Land der tausend Flussdurchquerungen war ich schon des öfteren sehr, sehr froh drum. Ein riesen grosses Dankeschön deshalb an dieser Stelle!!

Auch der Orkhon ist durch den intensiven Regen ganz schön weit über die Ufer getreten. An eine Überquerung ist nicht zu denken. Die Besichtigung des Klosters auf der anderen Seite lassen wir deshalb wohl oder übel aus und pedalen der rechten Flussseite entlang. Weiter unten erklärt uns jemand mit viel schauspielerischem Talent und gurgelnden Geräuschen, dass wir im Fluss ertrinken werden, wenn wir weiter dieser Route folgen. Also nehmen wir den Umweg via Hujirt in Kauf, pedalen nach der kritischen Stelle aber doch wieder zurück ins Orkhontal, weil es uns so gut gefällt.

Karakorum war mal die Hauptstadt des Mongolischen Reichs. Übrig geblieben ist aber nur ein kleines Städtchen mit einem hübschen Kloster.

Als wir mit 40 km/h eine löchrige Asphaltstrasse hinunter flitzen scheuchen wir einen Adler auf, der am Strassenrand gesessen hatte. Eine ganze Weile segelt er auf Schulterhöhe neben Reto her um dann knapp über unsere Köpfe hinweg zu ziehen. Seine Spannweite ist beträchtlich – wow!


Selbst noch auf den letzten Kilometern gibt es jede Menge interessante Landschaften…


… perfekte Campingpätzchen …


… und ideale Velowege. Dieses Land ist einfach der Wahnsinn!

In einem Vorort von Ulaanbaatar mache ich dann den Fehler den hungrigen Reto unbeaufsichtigt in einen Supermarkt hinein zu lassen. In einer Viertelstunde gibt er das Geld aus, das in der Westmongolei für mehr als eine Woche gereicht hat. Macht aber nix. So ein Strahlen ist schliesslich unbezahlbar.

Liebe Grüsse aus einer kleinen Jurte oberhalb von Ulanbaatar in einem typisch mongolischen Ger Camp. Die Lichter der Grossstadt glitzern unten im Tal. Aus dem Nachbar Ger erklingen traditionelle Gesänge. Das Kamel, das sich heute so für Veloreparaturen interessiert hat, schläft vis a vis und und Reto verbringt den Abend mit einer Biologiestudie, indem er alle Spinnen und Käfer einsammelt, die durch unser Ger spazieren – das Resultat ist beeindruckend.

Petra und Reto

Posted by

6 Comments on “Kleine Missgeschicke in grossen Landschaften”

  1. WOOOOOOWWWWWWWWW ! so geil! sprecht Ihr eigentlich ein bisschen der Sprache? Sprechen die Leute etwas Englisch?

  2. Eure Reise ist auch hier auf dem Sofa ein Genuss. Danke für das lächeln, das ihr hervor zaubert und das Fernweh! Viel Neugier, Ausdauer und Spass wünsche ich euch weiterhin.

  3. Hey ihr beiden,
    liebe grüße von meinem bruder und mir aus Osh, Kirgistan. Einige Fotos sehen der unsereren Umgebung sehr ähnlich, wenn man die Dimensionen nicht mit berücksichtigt ;)! Schöne Geschichten und Fotos! Viel spaß nun im Himalaya!
    Lg hannes

  4. Hi, dir 2 🙂
    Dir heit ja scho afa einiges erläbt – hammer! Lise öii Brichte sehr gärn u grad zäme mit de Föteli gits eim ä super Iidruck! Danke! 🙂

    I wünsche öich witerhin ganz ä spannendi Zyt! Gniesset d’Landschafte, z’Wasser, d’Lüt, Tier, etc. i volle Züg!

    Liebi Grüess usem Luzärnische 😉
    Bounty

  5. Hello ihr 2 Reisenden!
    Geniali Föteli und spannendi Gschichte ;-).
    Wünsch euch gute, pannenfreie Fahrt, ein trockenes Dach über dem Kopf und genügend Proviant :-)!
    Besti Grüess us de Schwiiz
    Rahel

  6. Hello Zäme

    Mir folget ihres Trip und genissen jede neue Nachricht und Bilder.
    Danke noh für Ihre geniali Postkarte (Mir händ näd alles verstande… aber die Skizze sind sehr explizit!) ;o)
    Viel spass noch für die nöchte Etappe, liebe Grüsse!

    Salutations du canton de Vaud!

    Pasci und Anne-Christelle

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *