Stutenmilch und Powerbars

Erst etwa zwei Wochen nach unserem Start in der Mongolei kommen wir in der nächsten nennenswerten Siedlung an. Als wir dann in Tosontsengel Downtown nach einer Unterkunft fragen nimmt uns die gute Frau gleich zu sich nach Hause mit. Das ist zwar gut gemeint aber das was uns vorschwebt ist eher ein eigenes Zimmer, wenn möglich mit Bett und auch von einer Dusche haben wir schon geträumt. Zum grossen Unverständnis der netten Verkäuferin verabschieden wir uns deshalb bereits nach dem Begrüssungstee wieder. In ihren Augen sind wir wohl ziemlich kompliziert, denn das Konzept der Privatsphäre ist hier inexistent. Selbst im Hotel kommt es oft vor, dass jemand unsere Zimmertür öffnet um kurz nachzuschauen, wer da drin wohnt – ohne erst anzuklopfen und selbst noch um Mitternacht. Auch eine Jurte ist nicht nur die Wohnung einer Familie, sondern gleichzeitig auch eine Art “öffentlicher Raum”, in dem jeder ein und ausgeht, wie es ihm gerade passt. Ein Konzept das sich richtig stark von dem unseren unterscheidet. Als wir z.B. einmal bei einer Nomaden-Familie am Teetrinken sind, kommt eine Gruppe junger Mongolen hinzu. Sie hatten uns wohl gesehen als wir die Jurte betraten und für spannend genug befunden um die Fahrt in den Ausgang zu unterbrechen. Es ist faszinierend zu sehen, wie selbstverständlich sie hereinkommen, Tee entgegennehmen und es sich auf dem fremden Bett bequem machen.

In Tosontsengel entscheiden wir uns schliesslich für das einzige Gebäude mit der Aufschrift “Hotel” und siehe an: wo Hotel drauf steht ist auch Hotel drin. Das Wasser ist allerdings auch hier ein knappes Gut und kommt im besten Fall aus einem Kessel. Wir gehen deshalb ins städtische Badehaus und lassen uns für ein paar Tugrik eine Duschkabine zuweisen, wie die anderen Einwohner der Stadt auch.

Bei der Weiferfahrt lernen wir eine weitere Facette des mongolischen Wetters kennen: den alles-zu-Matsch-verwandelnden Nieselregen. Auch die Temperaturen haben sich von ziemlich heiss zu ganz schön kühl verändert und die sanften Hügelzüge werden hier von saftig grünen Wiesen bedeckt. Dies scheint sich auch im Viehbestand niederzuschlagen: Im Westen hatte eine Familie jeweils etwa 10 bis 20 Ziegen zum Melken aufgereiht, hier aber spazieren Herden mit mehreren hundert Tieren durch die Gegend.

Die Kamele sind schon länger von der Bildfläche verschwunden, dafür sind hier die Yaks voll im Trend und grosse Pferdeherden galoppieren über die Ebenen.

Der auf fast 2’000 m.ü.M. liegende Tsagaan Nuur (See) ist eine Feriendestination für In- und Ausländer.

Auch wir mieten uns hier eine Jurte. Diese runden Behausungen sind absolut perfekt ans Land und den Lebensstil angepasst und auch für Velonomaden ganz praktisch… zumindest in der Theorie… Das Desaster beginnt damit, dass der Koch betrunken ist. Gestern noch hat er uns strahlend die besten Chuschus (frittierte Teigtaschen) serviert, die wir je gegessen hatten. Sogar eine richtige Kochmütze hatte er auf. Heute aber sitzt er wie ein Häufchen Elend am Tisch und macht uns klar, dass die Küche heute geschlossen ist. Grund: Vodka. Nur schon die Tatsache, dass dies eine allseits akzeptierte Erklärung ist, stimmt uns traurig. Naja, dann kochen wir halt selbst. Mit dem Holzofen haben wir ja einen prima Herd in der Jurte. Nur das Feuer fehlt noch. Als erstes versucht Reto seine Lieblings-Anfeuermethode mit Benzin. Diesmal geht sie aber nach vorne los. Das Resultat ist eine grosse Stichflamme und ein fein säuberlich enthaarter Unterarm. Für den zweiten Versuch produzieren wir in mühsamer Kleinarbeit mit dem Taschenmesser Holzspäne, opfern sogar ein paar Höhenprofile als Brennmaterial und pusten uns die Lunge aus dem Leib, doch das Holz ist so pflitschnass, dass nicht mal die Späne brennen. Schliesslich sind wir gerade dabei ein Holzscheit mit der Flamme des Benzinkochers zu bearbeiten als ein Gewittersturm das Seil zerreist, das die grosse runde Öffnung im Jurtendach verschliesst.

Jetzt haben wir sogar mitten in der Jurte drin strömenden Regen, oje oje. Dafür kommen nun die Leute des Ger-Camps durch den Regen herbeigeeilt. Reto hat die Klappe unterdessen zwar geflickt, aber in Sachen Herdfeuer nehmen wir gerne etwas Hilfe an. Jedoch auch bei ihnen scheitert der erste Versuch kläglich und selbst Karton und trockenes Kleinholz helfen nicht weiter. Erst ein grosser chinesischer Bunsenbrenner bringt den erhofften Erfolg und – mittlerweile um 01:30 Uhr nachts – das hart verdiente Nachtessen.

Schliesslich pedalen wir weiter, an einem längst erloschenen Vulkankrater und knall grünen Hügeln vorbei, bis unsere Räder nach 1’000 km Holperpiste auf einmal wieder Asphalt berühren.

“Was zur Hölle ist denn das?”, frage ich mich als wir John in der Ferne ausmachen. Und tatsächlich kommt uns da ein französischer Tourenradler entgegen – mit Angelrute. Wir halten an, plaudern, fahren schliesslich zum nächsten Fluss und verbringen einen lustigen Nachmittag mit Heuschrecken fangen und fischen, wobei wir mit den Heuschrecken deutlich erfolgreicher sind als mit den Fischen.

Unterdessen ist die Landschaft schon richtig “dicht” besiedelt und manchmal teilen sich viele Jurten und Herden ein Tal. Umso erstaunlicher erscheint es uns, dass auch hier niemand auf die Idee kommt einen Zaun aufzustellen um ein Stück Land für sich zu beanspruchen.

Tsetserleg ist ein richtiges Städchen und wir geniessen den Luxus, den es mit sich bringt in vollen Zügen. Als wir wieder hinaus holpern ist der Foodsack wieder prall gefüllt mit feinen Sachen. Hier verlassen wir die Hauptroute und zweigen Richtung Süden ab. Wir sind gespannt ob wir es über das Khangay Gegirge hinüber nach Bayankhongor schaffen, denn im Guesthouse haben wir von einem anderen Velofahrer vernommen, der auf dieser Route wegen Schlamm und schweren Flussüberquerungen gescheitert war. Wir hoffen deshalb auf mehr Wetterglück.

Über grüne Hügel pedalen wir von einem Tal ins nächste. Auch hier stellen sämtliche Familien Airag und “Powerbars” her. “Airag” ist gegärte Stutenmilch und die Mongolen lieben es über alles – ganz im Gegensatz zu uns. “Powerbar” nennen wir diese getrockneten Käse- oder Quark-Dinger, die uns ebenfalls dauernd angeboten werden.

Beides schmeckt unglaublich stark nach saurer Milch und selbst mit einem ganzen Monat Übung gelingt es mir nicht, das Zeugs zu schlucken ohne dabei das Gesicht zu verziehen. Ich bin mir sicher, dass es sich dabei um Produkte bester Qualität handelt. Das sieht man schon am Stolz in den Augen der Leute, wenn sie uns die Leckereien präsentieren. Nur haben unsere mitteleuropäischen Gehirne halt noch nicht registriert, dass Dinge mit diesem Geschmack in die Reihe der Lebensmittel einzuordnen sind und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie es jemals tun werden. Für die Mongolen hingegen – da bin ich überzeugt – ist dies der Geruch der Heimat, denn oft haben auch ihre Kleider und Jurten diesen unverkennbar säuerlichen Geruch angenommen.

Wenn wir vor einer Jurte halten um ein Foto zu schiessen nach dem Weg zu fragen oder auch nur um uns von den neugierigen Kids betrachten zu lassen, dann versuchen wir uns meist zu drücken, indem wir uns eben nicht in die Jurte einladen lassen. Schliesslich käme man ja auch nirgends hin, wenn man in jeder Jurte ein Tee oder eine Tasse Airag trinken würde. Oft funktioniert aber auch diese Taktik nicht, denn in dem Fall bringen sie das Zeugs einfach raus. Selbst Ulanbaataar-Mongolen packen allzu oft den grossen Airag-Kanister aus, den sie eben erst von der Familie auf dem Land geschenkt bekommen haben. Und noch jeder war überzeugt, dass genau seine Familie das beste Airag im ganzen Land herstellt. Es ist echt unglaublich, wie freudig sie das Beste vom Besten irgendwelchen fremden daher geradelten Touristen verschenken. Zu schade, dass wir die Begeisterung nicht wirklich teilen können.

An einem Abend schauen wir zu wie ein sieben oder achtjähriger Junge eine Herde von über hundert Yaks zusammentreibt. Gekonnt sammelt er auch die letzten Nachzügler ein und treibt sie über eine Holzbrücke, die sich unter dem Gewicht der mächtigen Tiere ganz schön durchbiegt. Als er sie alle auf der anderen Seite hat, kommt er kurz bei uns vorbei um sich unsere Räder anzuschauen.


Erst als er sein Pferd wieder am Halfter nimmt, realisieren wir, dass er natürlich viel zu klein ist, um wieder aufzusteigen. Ohne Sattel und Steigbügel ist das ja sowieso gar nicht so einfach. Er löst das Problem aber elegant, indem er das Pferd einen Abhang hinunter stellt. Mit einem gekonnten Hechtsprung landet er bäuchlings auf dessen Rücken und bereits eine Sekunde später prescht er im Galopp zur Herde zurück, die unterdessen schon wieder in eine ganz andere Richtung davon spaziert ist.

Ein gewisser Bachbettcharakter ist der Strasse nicht abzusprechen, aber bis auf wenige Stellen ist sie eigentlich immer fahrbar. Ohne Veloschuhe und Klickpedale komme ich bergauf allerdings nicht klar. Heute ist aber mein Glückstag, denn Reto ist mit den Crocs unterwegs und trägt mich wie ein echter Gentleman auf dem Rücken über jeden Bach. Auf der anderen Seite des Passes wechsle ich dann ebenfalls in die Crocs, denn schliesslich verbringen wir den grössten Teil des Tages damit, die Räder durch irgendwelche Flüsse zu schieben.

Oft haben sie viele Arme und nehmen einen grossen Teil des Tals ein. So sind die Crossings wenigstens recht gut zu bewältigen. Nur an einer Stelle ist ein Fluss so schmal und tief, dass ich in der Strömung selbst ohne Velo kaum stehen kann. Das letzte Crossing ist nur wenige hundert Meter vor der Aimag Hauptstadt Bayankhonghor und alleine in den 20 Minuten, die wir für die Überquerung brauchen, bleiben zwei Autos im Fluss stecken. Wir wundern uns deshalb ob noch niemand auf die Idee gekommen ist eine Brücke zu bauen, aber wahrscheinlich sind die Prioritäten anders gesetzt. Schliesslich soll bis in zwei Jahren die ganze Hauptroute asphaltiert sein. Das ist ja schliesslich auch kein kleines Projekt.

Liebe Grüsse von der neuen Nummer eins auf unserer ganz persönlichen Veloland-Rangliste,
Petra & Reto

 


Auch mongolischer Regen fühlt sich sehr viel besser an, wenn er draussen aufs Zelt klopft.


Das ist “Kettenwechsel der zweite” und ein Nachtessen auf bestem Weg und nicht “Yoga im Team”… 🙂


Für einmal voll im Zentrum der Aufmerksamkeit…

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