Wenn Stahlrösser auf Pferden reiten

  • Ohrenbetäubendes Autogehupe anstatt leises Grillengezirpe.
  • Eine erdrückend schwere Smog-Glocke anstelle des immer blauen Himmels.
  • 360° Menschen-Gewimmel anstelle einsamer Ebenen.
  • Warm-feuchte, zum zerschneiden dicke Luft anstelle des immerwährenden Windhauches.
  • Ein fensterlos gammliges Zimmerchen anstatt einer gemütlichen Jurte.
  • Ein aufflizendes Dollarzeichen in den Augen vieler Menschen anstatt eines freundlichen Lachens.

Die ersten Tage in Delhi kommen uns unerträglich vor. In den kleinen dunklen Räumen fühlen wir uns eingesperrt. Irgendwie fehlt da der Platz und die Luft zum Atmen und wir haben dauernd das Bedürfnis raus zu gehen. Sobald wir aber vor die Tür treten ist da dieser unaufhörliche Strom hupender Motorrad-Rischkas und Autos durchsetzt von diversesten Verkaufsständen, Hunden, Garküchen, heiligen Kühen, überladenen Fahrrädern und vorallem vielen, vielen Menschen. Dazu auch noch diese Armut. Die Flut von willkommenen und weniger willkommenen Bildern, Geräuschen und Gerüchen prasselt in einem Tempo auf uns ein, dem wir nicht gewachsen sind und meist dauert es nicht lange, bis wir uns ins wieder ins nächste dunkle Cafe hinein retten. Trotzdem schaffen wir es irgendwie, die wohl einzigen Veloschuhe der Grösse 43 in ganz Delhi aufzutreiben. Es steht Schimano drauf und sie haben ein Loch in der Sohle, durch das das Wasser das oben herein läuft, unten wieder heraus fliessen kann.

Wir sind heilfroh, als wir endlich im Nachtbus nach Manali sitzen. Als ich am nächsten Morgen aufwache beleuchten die ersten Sonnenstrahlen ein enges, knallgrünes Tal. Das Nebelmeer unter uns verleiht ihm den Eindruck unendlicher Tiefe. Die schmale Strasse windet sich den fast senkrechten Wänden entlang und für einen Augenblick habe ich das Gefühl in Südamerika auf der Death-Road zu sein. Zum Glück döse ich aber wieder ein, bevor ich unser Tempo mit dem Strassenverlauf in Zusammenhang gebracht habe.

Gut zwei Stunden später kommen wir in Manali an und geniessen hier ein paar Monsun-Tage lang die Annehmlichkeiten der Backpackerwelt, bevor wir uns auf den Weg in trockenere Gefielde machen.

Bei stetigem Nieselregen schrauben wir uns schliesslich den rund 4‘000m hohen Rohtang La hinauf – Kurve um Kurve und Stunde um Stunde.


Manchmal fliegen blaue Wesen auf Drachen vorbei   😉

Die Passstrasse ist eigentlich ganz angenehm zu fahren, wenn auch im oberen Teil etwas gar matschig. Insgeheim frage ich mich, ob auch der dickflüssige Schlamm durch das Loch in Retos Veloschuhen wieder hinaus läuft… !?

Kaum haben wir die obligate Gebetsfahne aufgehängt, holpern wir auch schon in das bereits viel trocknere Lahaul Tal hinunter und weiter bis zu einem kleinen Ort namens Darcha. Die Berge sind ganz schön hoch hier und die Täler ganz schön tief und auch daran, dass auf diesen Strassen gleichzeitig eine permanente Absturz- und Steinschlaggefahr zu drohen scheint, muss ich mich erst noch gewöhnen.

Der nächste Abschnitt ist nicht wirklich velofreundlich. Eigentlich handelt es sich viel mehr um eine sehr bekannte, rund 10-tägige Trekkingroute. Deshalb ist es in hier ein Leichtes einen Pferdetreiber zu finden, der unser Gepäck nach Padum und damit ins Zanskartal hinein befördert. Blöderweise lassen wir uns von ihm überreden, die ersten zwei Etappen an einem Tag zurückzulegen. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir nämlich noch nicht, dass sein Schwager genau ein Tag vor uns losgetrekkt ist, was wohl der wahre Grund für den schnellen Start ist. Und wir wissen auch nicht, dass wir entweder vom Mittagessen in Darcha oder von der Bakterienkultur, die wir versehentlich in unseren Bidons züchten, Durchfall kriegen werden. Auf jeden Fall schaffen wir es dann nur mit Mühe und Not uns und die Velos durch den letzten eiskalten Fluss zu schleppen und kommen mit so viel Brechreiz und Kopfschmerzen im Camp an, dass wir am nächsten Tag gleich einen Akklimatisationsstopp einlegen.

Während dem zweitägigen Passaufstieg zum 5‘095m hohen Shingo La dürfen dann sogar unsere beiden Velos auf einem Pferd reiten. Allerdings gefällt dies weder den Rädern noch dem Pferd so richtig gut und wir sind heilfroh, als wir sie – um einige Schrammen reicher, aber wenigstens noch in einem Stück – vom Pferderücken herunter nehmen.

Der Rest ist dann zum Glück wieder einigermassen radel-, bike- oder zumindest schiebbar und einige Passagen lassen selbst trotz Starrgabel und Tourenpneu unsere Bikerherzen höher schlagen.

Der Trail windet sich erst über den Pass und dann zwischen Gletschern und Bergriesen hindurch in ein Tal hinein, dessen Gestein in den verschiedensten Farbtönen leuchtet.

Grosse Yakherden streichen hier durch die Gegegend. Die Tiere sehen dermassen urchig-mächtig aus, dass sie locker einem Ice Age-Film entsprungen sein könnten. Ich würde mich jedenfalls keine Sekunde wundern, wenn gleich auch noch Mannie, das Mammut, um die Ecke biegen würde.

Anstelle von Mannie kommt am Abend eine Pferdekarawane in unser Camp, die in Stroh und Holz verpackte Glasscheiben nach Zanskar bringt. Wir staunen, dass auf diesem Weg immer noch Waren transportiert werden, selbst jetzt wo das Gebiet gegen Norden durch eine Strasse erschlossen ist. Schnell werden die Pferde abgesattelt und auf die spärliche Weide geschickt. Innert Minuten steht ein riesiges Zelt aus einigen einfachen Blachen und Holzpfosten und wir kommen uns mit unserer hochtechnisierten Campingausrüstung daneben irgendwie etwas lächerlich vor.

Weiter unten im Tal werden die Berge und Gesteinsformationen immer noch farbiger und kreativer, während der Pfad immer wieder durch die liebevoll angelegten Getreide- und Gemüsefelder der kleinen Dörfer führt, die oft nur aus zwei oder drei Häusern bestehen. Kargyak ist eines davon. Die Zeit scheint hier stehen geblieben zu sein. Goldgelb und grün leuchten die kleinen Felder zwischen den rötlichen Felsen. Sie werden über eine aufwändige Aqueduct Anlage bewässert, von hübschen Steinmäuerchen umrahmt und haben garantiert nie vier Ecken.

Jetzt gerade ist Erntezeit und viele Leute sitzen in den Gerstefeldern um jeden Halm einzeln und mitsamt Wurzeln auszureissen, sorgfältig zu bündeln und dann in einem ordentlichen Schachbrettmuster zum Trocknen aus zu legen. Alte Frauen tragen auf ihrem Rücken riesige Lasten von trockenem Grünzeug zum Dorf hinauf und auf den Dächern stapeln sich Unmengen von trockenem Kuhdung.

Ich bin mir sicher dass die Welt auch hier nicht perfekt ist, aber zumindest sieht sie so aus. Alles scheint hier seine Ordnung und seine Richtigkeit zu haben. Und wieder sitzen wir mit offenen Mündern da – hatten irgendwie nicht daran geglaubt, dass diese Tränen-in-die-Augen-treibende Idylle noch existiert. Vor allem jetzt, wo der Strassenbau schon so weit fortgeschritten ist und der Tourismus eingeschlagen hat.

Gleichzeitig tauchen aber auch Fragen auf. Wir wundern uns z.B. weshalb man keine Plastikplanen verwendet um die Dächer Regendicht zu kriegen und ein Schrägdach würde doch die Einsturzgefahr bei Schnee vermindern…?! Und so realisieren wir, dass diese Idylle nur existieren kann, da man hier so strickt an den Traditionen festhält und den Fortschritt weitgehend ablehnt. Würden wir mit unserer westlichen Denkart hier wohnen, wäre von der heilen Welt wohl nicht mehr viel übrig… Eine Feststellung, die eigentlich eher traurig stimmt.

Das Kloster Phuktal ist wie ein Adlerhorst an die Felswand geklebt und wir lassen uns von einem 79-jährigen Mönchen durch die verschiedenen Räume führen. Er strahlt als wäre er ein kleiner Junge. Seit 60 (!) Jahren sei er in diesem Kloster, erzählt er, und rennt trotzdem wie ein “kleines Rehli“ die steilen Treppen hoch und runter – die frische Bergluft hält scheinbar jung!

Der letzte Trekking-Tag wird dann nochmals zu einer echten Plackerei. Der Weg führt den steilen Wänden eines recht langweiligen Tals entlang und praktisch kein Meter davon ist fahrbar. Da ist alles zu steil, zu steinig oder zu ausgesetzt und immer wieder schleppen wir die schweren Stahlräder über grosse Felsbrocken und sehr schmale Passagen, während der losgetretene Schotter weit, weit unten in den reissenden Fluss hinein kullert.

Mit schmerzendem Rücken und müden Beinen verabschieden wir uns schliesslich von Tensing, unserem Pferdetreiber, und rollen im Schneckentempo auf der Strasse nach Padum hinein, wo wir von zwei deutschen Trekking-Gspändli mit dem weltbesten Fruchtsalat empfangen werden und heisses Wasser aus der Dusche strömt.

Liebe Grüsse von einer Route, auf der auch Menschen trekken, die Zahnpasta trocknen um Gewicht zu sparen,

Petra und Reto

 

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24 Comments on “Wenn Stahlrösser auf Pferden reiten”

  1. Wow… öii Velotour tönt widr eis superspannend! Ungloublech, was dir alls erläbet! Das Foto mit de Chind rund ums Vorderrad isch mega:-) Die andere Föteli natürlech o… Danke!

    Gniessets nach wie vor! I wünsche öich trochni Velotäg, wobi em Reto sini nöiie Veloschueh si ja o bim Rägewätter ganz parktisch 😉

    Liebi Grüess us dr CH
    Bounty 🙂

  2. Hammer! Danke vöu mou das Der Euchi Erläbnis teilet! würkli idrücklich! vorallem dä Gedanke mit de westliche Dänkwiis – verbessere, Ertrag steigere, etc – wo das chline Paradies wohl würd zerstöre, dä kenni irgendwie…
    Gruess us Quito

  3. Uesi Uererlegig zu Retos neue Veloschueh : Bim Räge geit ts Wasser düre und wäscht
    t Füess und bim Schlamm???- – – gits es herrlichs Gratispeeling!
    Eue Bricht mit Bilder isch wieder beidruckend, merci vielmal.

    Häbet Sorg und blibet -gsund-

    Liebi Grüess vo üs Allne

    Mam Sylvia

  4. WOW, ig bi ja GAAAR nid niidisch uf öich!!

    Dürd Manu hani erfahre, dass dir wider mau ungerwägs siget u ha widermau die wunderschöni Site mit no viu schönere Brichte u Fotos bsuecht!

    Was tröime ig dervo, mau so öpis z’mache – aber itze, das mues itz no es paar Jahr warte 😉

    Häbets ganz guet!

    Gruess Simu us der Jugendmusig 😉

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